Das Schreien und Weinen ist die erste Möglichkeit eines Kindes mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten. So kann es mitteilen, dass es Hunger hat, müde ist oder die volle Windel sich unangenehm anfühlt. Es ist erwiesen, dass das Schreien bei Personen in der Umgebung des Kindes körperliche Reaktionen und Fürsorgeverhalten auslöst.
Theoretisch gesehen wird jedes Kind unvollständig geboren. Das Immunsystem ist lediglich zu 60% entwickelt, der Temperaturhaushalt kann noch nicht selbstständig geregelt werden. In den ersten Tagen nach der Geburt macht das Kind zudem einen enormen Anpassungsprozess an seine Umwelt durch. Das Baby muss seinen Schlaf-Wach-Rhythmus finden, sich auf eine neue Ernährungsmethode einstellen und sich an die ungewohnte Umgebung, außerhalb des Mutterleibes anpassen. Viele neue Eindrücke strömen auf das Kind ein und können zum Teil bereits bei Säuglingen Stress auslösen. Vielen Kindern fällt dieser Anpassungsprozess leicht, andere tun sich schwer damit. Wann genau ein Baby zu einem Schreibaby wird, ist noch nicht vollständig erforscht. Man spricht davon, dass Schreien bis zu 2,5 Stunden pro Tag noch als normal zu bezeichnen sind. Etwa 20% bis 25% der aller Neugeboren entwickeln sich laut medizinischer Untersuchungen jedoch zu Schreibabys.
Warum ein Kind zum Schreibaby wird
In einigen Fällen beginnen die Probleme bereits vor der Geburt des Kindes. Angespannte familiäre Verhältnisse, Ängste und Depressionen der Mutter oder eine mit Konflikten beladene Partnerschaft oder Geburt kann die Beziehung zwischen Eltern und Kind empfindlich stören. Kinder spüren Disharmonie instinktiv. Eine Faustregel besagt, dass man von einem Schreibaby spricht, wenn ein Kind pro Tag mindestens drei Stunden, an drei Tagen der Woche über einen Zeitraum von mehr als 3 Wochen hindurch untröstlich schreit. Oder, wenn Sie sich komplett überfordert fühlen und der Lage selbstständig nicht mehr Herr werden. Viele dieser Kinder leiden unter permanenten Schlafmangel und unter Erschöpfung. Zumeist beginnen die Schreiattacken mit dem achten Tag nach der Geburt, vorwiegend in den Abendstunden. Ihren Höhepunkt haben sie nach sechs Wochen erreicht, und enden in der Regel im dritten Lebensmonat. Dann hat das Kind gelernt, bewusst mit schreien seine Umgebung zu steuern.
Vier Prozent entwickeln sich zum Schreikleinkind
Etwa vier Prozent der Babys entwickeln sich zum Schreikleinkind. Unbehandelt kann dies zu dauerhaften Schlaf- und Essstörungen, aggressivem Verhalten oder zu Angststörungen führen. Bevor Sie an die Grenzen Ihrer Belastbarkeit gelangen, sollten Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Gehen Sie zunächst zu Ihrem Kinderarzt und lassen Sie abklären, ob keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die Schreiattacken verantwortlich sind. Dort kann auch der Kontakt zu einer Schreiambulanz- oder Sprechstunde vermittelt werden. In diesen Beratungsstellen wird Ihnen professionelle Hilfe, im Umgang mit einem Schreibaby, geboten. Sie treffen weitere Betroffene, Psychologen, Fachärzte und können sich miteinander austauschen. Sie werden feststellen, dass Sie nicht allein sind. Je früher Sie Hilfe von außen suchen, desto früher kann Ihnen und Ihrem Kind geholfen werden. Sie lernen wie Sie Ihrem Kind gezielt mehr Ruhe verschaffen können und somit das Einschlafen ermöglichen. Sie lernen ebenfalls Ihrem Kind einen geregelten Tagesablauf zu bieten und sich die Möglichkeit zur Erholung zu schaffen. Nehmen Sie auch die Hilfe Ihrer Familie oder von Freunden in Anspruch. Machen Sie sich stets bewusst, dass Ihr Kind Sie braucht, auch wenn es schreit und Sie die Angst und das Gefühl des persönlichen Versagens quält.
Wie mit einem Schreibaby umgehen?
Viele Eltern sind mit ihren Versuchen, das schreiende Kind zu beruhigen, sehr erfinderisch. Sie wiegen, sie singen, sie fahren Auto – sie probieren ständig neue Methoden aus. Doch genau dieses Verhalten verwirrt Ihr Kind. Geben Sie ihm Zeit und beobachten Sie das Kind. In vielen Beratungszentren wird den Eltern empfohlen ein Schreitagebuch zu führen. So können Sie herausfinden, wie lange und zu welcher Zeit Ihr Kind schreit. So können Störfaktoren schneller beseitigt werden. Weiterhin werden Sie Methoden kennen lernen, die Ihnen und Ihrem Kind helfen, das innere Gleichgewicht wiederzufinden. Sprechen Sie stets mit ruhiger, monotoner Stimme. Suchen Sie Körperkontakt, streichen Sie sanft über seinen Rücken. Gehen Sie beim Beruhigen des Kindes stufenweise vor. Suchen Sie zunächst Augenkontakt und legen Sie die eigene Hand auf den Bauch des Kindes, verweilen Sie ein paar Minuten. Beruhigt sich das Kind nicht, berühren Sie die Hände und führen Sie sie zusammen. Warten Sie wieder einige Minuten, entspannt sich das Kind nicht, umfassen Sie sanft die Beine und bringen Sie diese zur Ruhe. Im nächsten Schritt nehmen Sie das Kind auf, und wiegen es sanft, so vermitteln Sie dem Kind Zuversicht. Am Wichtigsten jedoch ist, bewahren Sie Ruhe, vermeiden Sie schnelle Wechsel. In der Beratung wird auch den Eltern an sich geholfen. In intensiven Gesprächen werden Lösungsmöglichkeiten für weitere eventuelle Schwierigkeiten gesucht.
Autor: Dr. Brigitte Hübner
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